vendredi 21 novembre 2014

Die Überdeckung - ein interessantes positionelles Konzept?

Als Aaron Nimzowitsch in seinem Werk Mein System seinen theoretischen Leitfaden für die von ihm maßgeblich mitentwickelte hypermoderne Schachschule die Idee der Überdeckung propagierte, geschah das in Übereinstimmung seiner schachlichen Grundphilosophie. Als Ausleger der sowohl kulturübergreifenden als auch kulturbrechenden Avantgarde waren den Hypermodernen die als "natürlich" glorifizierten klassischen Bewegungen und Ideen im Schach verhaßt. Entgegen den Idealen der natürlichen Entwicklung standen die Hypermodernen für eine Spielweise, die sich an Ideen wie Nachhaltigkeit, Elastizität, Blockade und, Nimzowitschs Lieblingsterminus: Prophylaxe ausrichtete. Die geradlinigen "natürlichen" Wege der Klassiker im Schach sollten ersetzt werden durch, entsprechend den Anforderungen der jeweiligen Stellungen, gewundene Wege, Geist entpuppt sich als stärker als Natur. Niemand anderes als Richard Reti hat diese hypermoderne Grundidee besser auf den Punkt gebracht als in seinem Werk Die neuen Ideen des Schachspiels von 1922:




Zitat:




Die neuen Ideen im Schach [...] haben mit dem Expressionismus manche Ähnlichkeit. Unser Ideal ist nicht mehr das, was man naturgemäße Entwicklung nannte, wir glauben, daß in der Ausführung menschlicher Ideen tiefere Möglichkeiten verborgen liegen als in der Natur.



zit. aus Ehn/Kastner, Schicksalsmomente der Schachgeschichte, Humboldt 2014, S. 129



In Mein System hatte Aaron Nimzowitsch noch in radikaler Abkehr von Steinitz und Tarrasch geschrieben, nicht das "kleinliche" Akkumulieren von Vorteilen - in dieser Geistesströmung sah Edmund Bruns übrigens einen Einfluß des damals florierenden Hochkapitalismus - sei der richtige im Weg im Schach. Dieser bestehe vielmehr in der Prophylaxe, worunter er Techniken wie Linien- und Diagonalbeherrschung, Blockade und Überdeckung verstand. Die Überdeckung starker Punkte hat dabei nach Nimzowitsch die tiefe und damit typischerweise antischematische Funktion (die Hypermodernen zog die Suche nach dem Besonderen im Gegensatz zur Suche nach dem Natürlichen bzw. gewohnt-gewöhnlichen an), nicht nur diese Stützpunkte im Verteidigungssinne zu verstärken. Durch die "Überstrahlung" dieser starken überdeckten Punkte soll die Aktivität auf weitere Regionen übergehen, so daß der Überdecker der starken Punkte allmählich die Initiative an sich reißen kann. Oder, um es mit den Worten von Nimzowitsch zu sagen:




Zitat:




Also mehr Deckung als Angriff schaffen, auf Vorrat decken ... schwache Punkte, noch mehr aber starke Punkte, kurz alles, was man unter dem Sanmelbegriff strategisch wichtiger Punkte fassen kann, sollen überdeckt werden. Denn tun die Offiziere solches, dann winkt ihnen als Belohnung, daß sie in jeder Hinsicht zu stehen kommen



Zitat aus Mein System



In seinem 1998 veröffentlichten "Anti-Nimzowitsch" hat der "Theoretiker der Regellosigkeit", John Watson, vor allem dieses Nimzowitsche Prinzip der Überdeckung einem starken Verriß zugefügt. Dort heißt es ebenso lakonisch wie selbstbewußt:




Zitat:




Ich denke, daß selbst wenn man heutige Topspieler fragt, ob sie glauben, daß die Idee der Überdeckung ein interessantes positionelles Konzept ist, die meisten mit einem eindeutigen "Nein antworten würden. Fragt man sie jedoch zum Begriff Prophylaxe, so wird die Antwort deutlich positiver ausfallen



John Watson, Geheimnisse der modernen Schachstrategie, GAMBIT-Verlag 2002, S. 236



Dann führen wir das Gedankenexperiment Watsons einmal fort und fragen die Schachspieler der Schachburg: Haltet ihr die Überdeckung für ein interessantes positionelles Konzept?





Die Überdeckung - ein interessantes positionelles Konzept?

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