dimanche 23 novembre 2014

Wo haben Schachcomputer noch Schwächen?

Als Ulrich Stock für die zeit nach der 7. WM-Partie zwischen Anand und Carlsen titelte: "Anand trickst Carlsen und die Computer aus", so war die Headline sicherlich gut gewählt. Die zeit ist schließlich keine Schachzeitung, und so hat Ulrich Stock die Aufgabe, Artikel über die Schach-WM nicht nur für Schachspieler, sondern auch für ein breites, normalerweise schachdesinteressiertes Publikum interessant zu gestalten. Und Personen, die sich normalerweise nicht mit Schach beschäftigen, haben im Hinterkopf den angeblich perfekten Schachcomputer, der ja schon 1997 den großen Kasparov in einem Duell bezwang. Wenn sich Anand nun gegenüber dieser angeblichen Gottheit als überlegen erweist, so ist die Öffentlichkeit beeindruckt, und genau das gibt dieser WM als Kampf der Titanen eine zusätzliche Brisanz.



Informiertere Schachspieler dagegen wissen, daß auch die heutigen Top-Engines noch Schwächen haben, und daß eine dieser Schwächen es ist, Festungen als solche zu erkennen. Tatsächlich zeigten die Engines während der 7. Partie für Carlsen nach Anands Läuferopfer im 31. Zug permanent eine weiße Gewinnstellung an, obwohl Anand durch seine Festungsstrategie den halben Punkt trotz eines unermüdlich anstürmenden Carlsen, offenkundig theoretisch sauber, halten konnte.



Wir sind vor den Computern überwiegend so beeindruckt, weil diese durch ihre Rechenleistungen in der Lage sind, Millionen von Zügen in Sekunden zu berechnen, wenn diese Computer nun in der Lage sind, diese Rechenleistung weiter zu verfielfachen, dann wird niemals mehr ein Mensch auch nur ein Remis aus einer solchen Partie Mensch gegen Computer herauszuholen. Der Geisteswissenschaftler Jörg Seidel sah diese stetig explosionsartig steigende Rechenkraft der Computer schon 2001 aber nicht als Indiz dafür an, daß der Mensch gegen den Computer bald keine Chance mehr habe. Vielmehr geht er von einem Idealzustand aus, dem sich sowohl die stärksten Menschen als auch Computer bereits "gefährlich angenähert" hätten, was der Remistoddebatte wieder neuen Zulauf bringen würde. Seidel argumentiert:




Zitat:




Demnach müßte es der Maschine, die statt Millionen Milliarden Züge pro Sekunde berechnen könnte, endlich gelingen, den Menschen eindeutig zu besiegen. Aber genau dies wird mit aller Wahrscheinlich nicht eintreffen. Warum? Es wurde bereits angedeutet: das Schach selbst, trotz seiner enormen Möglichkeiten, ist und bleibt ein theoretisch finites, beendbares Spiel, seine inhärenten Möglichkeiten sind numerisch gigantisch, aber nicht unendlich.



Jörg Seidel, Metachess, Charlatan-Verlag, Rostock 2009, S. 17



In der Folge begründet Seidel diesen Gedanken. Er führt aus, daß sich das Schach "nicht zuletzt auch durch die Hilfe der Computer und Datenbanken einem qualitativen Zustand angenähert hat, der den absoluten Möglichkeiten des Spiels mutmaßlich schon sehr nahe kommt". Die wichtigste Erkenntnis dabei sei, sehr plastisch erklärt:




Zitat:




Man kann sich das an einem Gefäßbild verdeutlichen. Je ausgefüllter ein Behälter ist, umso geringer sind die in ihm noch enthaltenen Möglichkeiten. In einem zu 10% gefüllten Behälter befindet sich ein verhältnismäßig großer Spielraum, ist der Behälter jedoch zu 90% gefüllt, so hat sich der verbleibende Spielraum drastisch verringert. Es ist im Falle Schach davon auszugehen, daß es zu absoluter Füllung nie kommen wird, doch wird man sich diesem Wert immer mehr annähern. Der seit Jahrzehnten ausbleibende und doch ständig angekündigte definitive Erfolg der Computer weist nun darauf hin, daß sich das Spiel diesem absoluten Grenzbereich bereits gefährlich angenähert hat. Selbst exponentielle Steigerungsraten bringen in diesem Bereich nur noch relativ wenig Fortschritt, sprich Annäherung.



So gewinnbringend und gehaltvoll sein schachphilosophisches Werk auch ist, es muß an dieser Stelle betont werden, daß Jörg Seidel sich zwar stark für das Schach interessieren mag, ein Schachspieler ist er aber nicht. Auch in der Datenbank des Deutschen Schachbundes taucht er nicht auf, sondern nur ein Namensvetter aus Hilden. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte Seidel den Fehler begangen haben, die Rechenleistung als alleiniges Gütesiegel der Schachkunst übergeneralisiert zu haben, doch benötigt es für wirklich tiefes Schachverständnis wohl mehr als reine Rechenleistung. Dies wissen übrigens auch die Hersteller von Schachcomputern sehr genau, die deswegen längst das alleinige Setzen auf die Brute-Force-Methode aufgegeben haben, und die versuchen, den Computer "menschlicher" spielen zu lassen, d. h. sich der typischen Stärken der Menschen zu bedienen. In Teilbereichen waren die Engine-Hersteller erfolgreich, so gilt das früher typische materialistische Denken der Computer heute als bereits überwundene Kinderkrankheit der Schachcomputer, manche Schwächen mögen aber selbst die stärksten Computer trotz einer Computerelo von 3300 noch haben.



Welche Schwächen haben also noch die heutigen Spitzencomputer? Schwächen im Erkennen von Festungen wurde bereits genannt. Zudem meine ich, daß Schachcomputer nach wie vor Eröffnungszüge unrealistisch einschätzen und damit regelmäßig schachbegeisterte Computerjünger auf die falsche Fährte locken. So wird z. B. immer noch der Zug 1. ...c5 auf 1. e4 als signifikant schlechter eingestuft als die Erwiderung 1. ...e5, und die Computer sehen Weiß in der schwarzen Wunderwaffe der heutigen Zeit, der Berliner Verteidigung, wo manche Schachspieler gar schon von der Widerlegung von 1. e4 schwadronieren, lange Zeit im Vorteil. In der aktuell laufenden WM-Partie zwischen Carlsen und Anand kann man sich selbst ein Bild davon machen. Seht ihr noch weitere Schwächen der Schachcomputer, wenn ja, welche?





Wo haben Schachcomputer noch Schwächen?

Aucun commentaire:

Enregistrer un commentaire